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Mehr Latein!

Pangea Afrikan und neue lateinische Zeichensätze

TL;DR — Die Unterstützung lateinisch basierter Sprachen beschränkt sich bei den meisten Fonts nach wie vor auf Europa und die USA. Mit Pangea Afrikan habe ich jetzt eine kostenlose Unterfamilie von Pangea veröffentlicht, die alle lateinischen afrikanischen und indigenen Sprachen unterstützen soll. Und um möglichst viele Nachahmer*innen zu finden, habe ich mit Latin S–XL zeitgemäße Zeichensätze auf Github veröffentlicht.

Formenvielfalt von a–z

Formenvielfalt in Pangea Afrikan

Bereits in meinem ersten Artikel über Pangea habe ich beschrieben, warum diese Schrift eine Herzenssache für mich ist; neben ästhetischen Gesichtspunkten sind mir vor allem der sukzessive Sprachausbau und die dauerhaften Spenden an sozialverträgliche Regenwaldaufforstung ein Anliegen.

Und die bisherige Resonanz hat mich überwältigt – ich hätte nie für möglich gehalten, dass meine Schrift schon ein gutes Jahr nach Veröffentlichung so viele Bäume pflanzen könnte!
Für mich ist das nur weitere Motivation, den Sprachausbau voranzutreiben, zunächst mit der Komplettierung des lateinischen Schriftsystems, in dem ich mich zuhause fühle.

Ein blinder Fleck, der nur auf den ersten Blick überrascht

Spätestens bei der Prüfung Pangeas mit dem essentiellen Hyperglot taten sich bei den lateinisch basierten Sprachen noch erstaunlich große Lücken auf. Wie konnte das sein? Ich hatte doch von Anfang an auf eine (meiner Meinung nach) überdurchschnittlich gute Sprachunterstützung geachtet und sogar die gestapelten Akzentbuchstaben für Vietnamesisch gezeichnet‽
Für die Antwort musste ich recherchieren und nun hier etwas ausholen.

Eine (sehr) kurze Geschichte der lateinischen Zeichensätze

Die ersten digitalen PostScript-Schriften waren ab den 1980er Jahren technisch auf 256 Zeichen beschränkt, was dazu führte, dass einzelne Fonts nur eine sehr begrenzte Menge an Sprachen unterstützen konnten. Man versuchte, sie geografisch zu gruppieren, und so entstanden z.B. Zeichensätze für „Western“ (z.B. Französisch, Deutsch, etc) und „Central European“ (kurz CE; Tschechisch, Polnisch, etc).

Erst in den 1990er Jahren, mit Einführung der TrueType-/OpenType-Schriften und des Unicode-Standards, der quasi jedem Schriftzeichen der Welt einen eindeutigen Code zuweist, konnten die Fesseln weitgehend gelöst und die zerfaserten Zeichensätze zusammengefasst werden.

Marktführer Adobe hatte dabei die glorreiche Idee, Fonts in „Std“ und „Pro“ zu unterteilen, wobei bei ersterem zwar Hunderte Ligaturen, Kapitälchen und Alternativformen beinhaltet sein konnten, die Sprachunterstützung aber auf „Western“ beschränkt blieb. „Pro“ hingegen hieß nur, dass mehr Sprachen unterstützt wurden; meist eine Zusammenfassung der erwähnten europäischen Zeichensätze.

Notdef-Zeichen statt Akzentbuchstaben

Wenn deine Lieblingsspieler İlkay Gündoğan oder Dušan Tadić heißen, nutze lieber keine „Std“-Schrift (wie hier Stencil Std). Und die Suche nach einer Schrift für Kelechi Ịheanachọ dürfte noch schwieriger werden.

Auch wenn die unsinnige Unterscheidung trotz vieler Nachahmer und einer erstaunlichen Zähigkeit inzwischen weitestgehend verschwunden ist – der lateinische Grundzeichensatz hat als „Latin Extended“ quasi unverändert bis heute in den meisten Typefoundrys überlebt.
Dabei ist er inzwischen ca. 25 Jahre alt! Der Unicode-Standard wird seitdem breit unterstützt und ist um über 100.000 Zeichen reicher geworden, und die Erde dank Internet und co näher zusammengerückt denn je.

„Latin Extended“‽

Zeichencodes werden im Unicode in Blöcke unterteilt, und gleich zu Anfang wurden die erwähnten PostScript-Zeichensätze im geschlossenen Block Latin Extended A zusammengefasst. Das Problem dabei: So eine Schublade gibt Type-Designer*innen das gute Gefühl, etwas komplettiert zu haben – in diesem Fall sogar etwas scheinbar Erweitertes, also Überdurchschnittliches.
Hat man aber eben nicht. Es ist eine Zusammenstellung, die zum Einen zT veraltete Zeichen enthält, die man sich getrost sparen kann.
Zum anderen wiegt jedoch schwerer, dass von einer „Extended“, also erweiterten, Sprachunterstützung keine Rede sein kann. Der ursprüngliche Name des Blocks war da wesentlich aussagekräftiger: „European Latin“

Und der Rest der Welt?

Bis heute hat sich also für lateinische Schriften ein Standard etabliert, der weitestgehend auf Europa und die USA beschränkt ist. Für manche Sprachen werden keine „exotischeren“ Zeichen benötigt und sie werden quasi zufällig mit unterstützt.
Bei anderen sieht es schlechter aus: Als es darum ging, kolonisierten Völkern ihr lateinisches Alphabet zu „schenken“, waren die Europäer sehr schnell. Allerdings entwickelte man für viele Sprachen zusätzliche Zeichen, und die werden bis heute auch in den erfolgreichsten Schriften gerne eingespart.

Africa’s perception war, Tweet von Richard Kiplagat

Von der Mercator-Projektion zum Zeichensatz: Afrika wird zu klein wahrgenommen. (Tweet von Richard Kiplagat)

Die oben erwähnten Lücken in Pangeas Zeichensatz waren demnach wenig überraschend: Sie betrafen vor allem Sprachen von anderen Kontinenten, besonders Afrika. Und das beileibe nicht nur, weil dazu immer viele zusätzliche Zeichen zu gestalten sind:

Esperanto vs Umbundu, Akzentbuchstaben und Sprecher

Ein Punkt = 1000 Sprecher! Fast jeder Font unterstützt die Kunstsprache Esperanto (1000 Sprecher – ja, da ist ein Punkt unter „Esperanto“). Die 2 Akzentbuchstaben für Úmbúndú (Angola, 10 Million) fehlen meistens.

Warum sich dieser begrenzte Standard fast unverändert so lange gehalten hat, bleibt jedoch fraglich. Ich denke, es ist eine Mischung aus Bequemlichkeit (das haben wir schon immer so gemacht), Marktwirtschaft (der Mehraufwand zahlt sich nicht aus), Ignoranz und Unkenntnis bzw. schlechter Dokumentation.
Letzteres gilt vor allem für jüngere Designer*innen und kleinere Foundrys, und ich nehme mich da nicht aus. Im Typedesign wird traditionell viel abgeschaut, auch bei den technischen Standards. Gerade hier vertraut man im Zweifel den etablierten Foundrys mit ihrer vermeintlich großen Expertise. Und wenn diese sich nicht bewegen, überträgt sich das weiter.

Für mich persönlich ergaben sich daraus drei Konsequenzen:

1. Pangea soll alle lebendigen lateinischen Sprachen unterstützen

Ich habe im Januar 2019 mit der Recherche angefangen und freue mich, dass Pangea knapp 2 Jahre später mit dem neuesten Update nicht nur alle lateinischen Sprachen Afrikas unterstützt, sondern überhaupt alle 459 auf Hyperglot gelisteten!

Neue Zeichen in Pangea

Pangeas 350 neue Zeichen

Dabei bleibt Pangea ihrem Grundsatz treu: Die Sprachunterstützung wächst, der Preis bleibt gleich, und die Spende an den Regenwald sowieso. (Wer Pangea bereits gekauft hast, kann kostenlos die neueste Version downloaden.)

Pangea bei Fontwerk kaufen

2. Pangea soll für unterrepräsentierte lateinische Sprachen gut zugänglich sein

Showing für Pangea Afrikan von Fungi Dube

Showing für Pangea Afrikan von Fungi Dube

Mit Pangea Afrikan habe ich eine Unterfamilie von Pangea definiert, die alle lateinischen afrikanischen und indigenen Sprachen unterstützen soll. Diese Familie ist – ebenso wie Pangea Afrikan Text – als Standardlizenz kostenlos! Ich freue mich, dass Fontwerk diese Idee unterstützt und hoffe, dass dadurch weltweit möglichst vielen Designer*innen, deren Muttersprachen oft zu kurz kommen, Zugang zu einer zeitgemäßen Schrift ermöglicht wird.

Disaster Risk Reduction Dictionary

Wie es der Zufall wollte, gestaltete meine Frau Katja mit Gosia Warrink gerade ein Wörterbuch für das United Nations Development Programme in den Sprachen Kono, Krio, Limba, Mende und Themne, und viele Zeichen konnten mit der verwendeten Schrift nicht dargestellt werden. Dies wurde zur Vorab-Premiere von Pangea Afrikan, und ich bin glücklich, dass sie sich in der Praxis erstmalig bewähren konnte!

Pangea Afrikan bei Fontwerk kostenlos downloaden

3. Pangea soll nicht alleine bleiben

Eine Schrift auszubauen, ist vielleicht nicht schlecht. Besser ist es, anderen die Möglichkeit zu geben, weitere Schriften auch entsprechend zu erweitern. Auf Grundlage meiner Recherche habe ich daher neue zeitgemäße Zeichensätze definiert, die hoffentlich etwas Bewegung in den überholten Standard bringen: Latin S, Latin M, Latin L und Latin XL
Latin S ist dabei die Basis; etwas größer als das alte Latin Extended und doch bewusst so benannt, dass klar wird, wie wenig „Extended“ es eigentlich ist. Dabei werden ca. 200.000.000 zusätzliche Sprecher unterstützt.

Zeichensätze Latin S–XL auf Github

PS

Genau: Pangea Afrikan ist eigentlich Pangea Afrikan Latin, also erstmal ein Anfang. Ich freue mich jedoch schon auf eine Zusammenarbeit mit Tapiwanashe Sebastian Garikayi, mit dessen Hilfe Pangea hoffentlich schon bald auch andere afrikanische Skripte unterstützen wird.

Mein herzlicher Dank gilt Paul Hanslow, der mir wertvolles Feedback zu Zeichensatz und Design gegeben hat, und Gabriel Richter für die Italics!

Übrigens: Pangea Afrikan hat auch einen eigenen Soundtrack! Enjoy!


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Hallo! I’m Christoph Koeberlin; Type Designer & Font Engineer from Berlin, Europe. I design retail typefaces (like Pangea, Fabrikat & FF Mark), and custom typefaces (like for Mercedes-Benz, Liebherr & Mainz 05). For more than 10 years I’ve been assisting type foundries (like Swiss Typefaces, Grilli Type, FontFont and HVD Fonts) with mastering, QA, hinting & trouble shooting (for clients like Ebay, Lufthansa & Volkswagen). I founded sportsfonts.com & Typefacts. I look forward to your mail: christophkoe.berlin. You can also meet me on LinkedIn & Twitter. I’m not on Facebook or Instagram, I don’t buy at Amazon, and I don’t use Google. All of my work is done with renewable energy. This beautiful typeface is Bery Script by Fred Smeijers.